Ist das womöglich schon ein Traumata? Selbstheilung von kleinen Traumata

Auszug aus “Breathwork – Die Magie deiner Atmung”:

Beispiel
Karla, eine 42-jährige Frau und Anwältin in einer Düsseldorfer Kanzlei, wirkt nach außen sehr gefasst und beinahe hart. Ihre Emotionen zeigt sie nur ungern. Sie weiß, dass in ihrer Kindheit eine Wunde liegt, die sie über 30 Jahre lang verdrängt hat. Es war eine psychische Wunde, die entstand, als sie vor der ganzen Clique bloßgestellt und ausgegrenzt wurde – ohne, dass sie bis zum heutigen Tag genau versteht, warum ihre Freundinnen ihr das damals angetan hatten. Dabei hatte ihr lediglich ein Junge aus ihrer Klasse seine Liebe gestanden. Weil sie wusste, dass viele ihrer Freundinnen auf ihn standen, war sie auf seine Liebesbekundungen nicht eingegangen.

Sie versteht bis zum heutigen Tag die Abgrenzung ihrer Freundinnen nicht, doch hat sie auch nie das Gespräch gesucht. Sowohl im privaten als auch beruflichen Umfeld merkt sie immer wieder, wie diese Wunde regelmäßig wieder aufflammt und sie in ihren Reaktionen überreagieren lässt. Wird sie von Kollegen nicht zu einem bestimmten Termin eingeladen, fühlt sie sich hintergangen und ist für Tage niedergeschlagen. Hat ihr Partner für einige Tage aufgrund seines Jobs weniger Zeit für sie, fühlt sie sich direkt vernachlässigt und hinterfragt die Beziehung und seine Liebe zu ihr. Eine befreundete Kollegin empfiehlt ihr schließlich, dieses Trauma aufzuarbeiten.

Definition Traumata
Das Wort Trauma hört man inzwischen häufig. Doch was ist das eigentlich und ist jedes Trauma gleich? Das Wort Trauma hat griechische Wurzeln und bedeutet “Wunde”. Dr. Gabor Maté ist ein Experte für Sucht, Trauma und kindliche Entwicklung. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter diverse Bestseller, wie 
Scattered Minds, In the Realm of Hungry Ghosts und When the Body Says No. Gabor Mate definiert Traumata als „eine psychische Wunde, die eine Narbe hinterlässt. Sie hinterlässt einen Abdruck in deinem Nervensystem, in deinem Körper, in deiner Psyche und zeigt sich später auf vielfältige Weisen, die dir nicht dienlich sind.“”. Er unterscheidet dabei zwischen “großen Traumata” wie sexueller Missbrauch, körperlicher Gewalt oder Naturkatastrophen und “kleinen Traumata” wie emotionaler Vernachlässigung, Mobbing oder ständigem Stress.

Auch wenn kleine Traumata auf den ersten Blick nicht so gravierend erscheinen mögen, können sie dennoch langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben, insbesondere wenn sie über einen längeren Zeitraum andauern. Mate zeigt ebenso auf, dass Traumata nicht nur physische, sondern auch psychische Auswirkungen haben und dass sie im Körper gespeichert werden können. Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, können daher körperliche Symptome wie chronische Schmerzen, Verdauungsprobleme oder Schlafstörungen entwickeln, auch wenn keine offensichtliche körperliche Ursache vorliegt. Kleine Traumata können dazu führen, dass wir uns im Körper unwohl, gestresst oder verängstigt fühlen, während größere Traumata oft schwerwiegender sind und eine größere Auswirkung auf unser Leben haben können. Kleine Traumata können auch dazu beitragen, dass wir uns unsicher, unsichtbar oder unerwünscht fühlen. Sie können entstehen, wenn wir uns von unseren Eltern oder Lehrern nicht verstanden fühlen oder wenn wir in unserer Arbeit oder in unseren Beziehungen nicht genügend Anerkennung erhalten. 

Dass Traumata auch körperliche Folgen haben können, teilt auch der renommierte  Trauma-Experte Bessel van der Kolk. In seinem Buch The Body Keeps the Score erklärt er, dass traumatische Erfahrungen sich im Körper als “implizite Erinnerungen” festsetzen können, die nicht bewusst erinnert werden, sondern als körperliche Empfindungen, Emotionen oder Reaktionsmuster auftauchen. 

Kann man nun Traumata durch Atemübungen besser verarbeiten? 

Atemübungen können einen Teil der Therapie ausmachen und helfen, das Nervensystem zu beruhigen und den Körper zu entspannen. Durch gezielte Atmung können wir unsere Emotionen und körperlichen Empfindungen besser regulieren und uns von negativen Auswirkungen lösen. Durch die Beruhigung unseres autonomen Nervensystems und die Aktivierung des präfrontalen Kortex im Gehirn, können wir den präfrontalen Kortex stärken und dadurch unsere Fähigkeit verbessern, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen und uns von ihnen zu erholen. Auch können Atemübungen helfen, die mit Traumata verbundenen körperlichen Spannungen und Blockaden zu lösen, da sie den Körper dabei unterstützen, sich zu entspannen und den natürlichen Atemfluss wiederherzustellen.

Ich kenne viele Beispiele, bei denen Kunden in Breathwork-Einheiten in traumatische Erfahrungen abtauchen und diese im Rahmen einer tiefen Atemeinheit bewusst ablegen und verarbeiten können. Trotzdem bietet es sich für die Verarbeitung von größeren Traumata an, mit einem erfahrenen und darauf spezialisierten Psychotherapeuten zu arbeiten, denn es besteht auch immer das Risiko einer Retraumatisierung. Oft empfehle ich, Atemübungen in Kombination mit anderen Methoden in der Trauma-Therapie einzusetzen. Auf diese Weise kann Breathwork die somatische Verarbeitung eines Traumas unterstützen. Dafür bietet sich die persönliche Zusammenarbeit mit einem erfahren Atemcoach oder Therapeuten an. Daher sind diese Übungen auch nicht Teil meines Buches.  

Zusätzlich beschreibt der Psychologe und Traumaexperte Peter Levine in seinem Buch Waking the Tiger: Healing Trauma verschiedene Methoden und Techniken, die darauf abzielen, den Prozess der Entladung und Regeneration zu fördern und Menschen dabei zu unterstützen, ihre Traumata zu überwinden. Dazu gehören unter anderem Somatische Traumatherapie, Sensomotorische Psychotherapie sowie EMDR ((Eye Movement Desensitization and Reprocessing).

Egal ob es sich um kleine oder große Traumata handelt, ist es wichtig, dass wir uns mit unseren Emotionen auseinandersetzen und sie nicht verdrängen. Indem wir uns erlauben, unsere Gefühle zu spüren, können wir uns von den emotionalen Belastungen befreien und uns auf den Weg der Heilung begeben.

Empfehlung
Ich empfehle meinen Klient*innen im ersten Schritt zu identifizieren, welche Stress-Auslöser sie in ihrem Alltag immer wieder erfahren. 

Einige Stress-Auslöser, die ich in der Arbeit mit Klient*innen sehr häufig sehe sind, folgende: 

  • Angst, andere zu enttäuschen und Perfektionismus (eine junge Frau sucht ständig die externe Bestätigung, so wie sie es in ihrer Kindheit gelernt hat. Als älteste Tochter bekam sie häufig am meisten Lob und fortwährend versuchte sie, andere möglichst so zufriedenzustellen, dass sie dieses Lob wieder erfuhr.) 
  • Zustand der Begrenzung (Eine Klientin fühlt sich gestresst, wenn sie das Gefühl hat, ihr Geld oder die Liebe eines Partners könnte nicht reichen. Sie sieht immer eher Beschränkung als Möglichkeiten, weil in ihrer Kindheit ihre Eltern oft Geldsorgen hatten) 
  • Angst, die Kontrolle zu verlieren (Ein Klient fühlt sich stark gestresst, wenn er das Gefühl hat, dass zu viele Veränderungen auf einmal geschehen und er sie nicht mehr kontrollieren kann. In seiner Kindheit wurde er vielen häufigen Veränderungen ausgesetzt und seine Eltern sind häufig umgezogen)
  • starke negative Selbstverurteilung (möglicherweise war ein Elternteil sehr kritisch – nichts war gut genug). 

Atem des Loslassens (kleine Traumata)

Diese Atemmeditation hilft alte Muster, die uns wie Schatten beschweren, zu erkennen und loszulassen.
Sicherheitshinweise: 

  • Wenn du dir nicht sicher bist, ob diese Übung für dich geeignet ist, sprich bitte mit deinem Arzt oder Therapeuten.
  • Wenn du während der Übung starke unangenehme Gefühle oder Symptome bemerkst, brich die Übung ab und wende dich ggf. an einen Arzt oder Therapeuten. Diese Übung sollte nicht als Ersatz für eine medizinische Behandlung dienen.
  • Wenn du an einer psychischen Erkrankung leidest, suche bitte professionelle Hilfe.
  • Wenn du Suizidgedanken hast, wende dich bitte an eine Krisenhotline. 

Anwendung: jederzeit
Dauer: 5 Minuten
Position: sitzend, stehend oder liegend

Anleitung

  1. Stelle bewusst fest, wann und welcher Auslöser dich immer wieder stresst. Schreib diesen auf. 
  2. Wenn du ihn das nächste Mal aufkommen spürst, werde dir dessen bewusst und stoppe kurz, was du machst. 
  3. Komme in eine entspannte Position und schließe nach Möglichkeit die Augen. 
  4. Mit der Einatmung wirst du dir dieses unerwünschten Gefühls bewusst. Versuche nicht die Wut, den Ärger oder was auch immer es ist, zu verdrängen, sondern nimm sie bewusst wahr. Sei dir bewusst, dass es ein Stressauslöser z.B. aus deiner Kindheit ist und diese Emotion dich immer noch wie ein Schatten verfolgt. 
  5. Dann lässt du die Emotionen bewusst mit einer kraftvollen Ausatmung durch den Mund los, so als würdest du alle Anspannung und Schatten wegpusten. Ebenso kannst du das Loslassen durch einen Schrei (z.B. in ein Kopfkissen), ein Ausschütteln deines Körpers oder einem großen Seufzer intensivieren. 
  6. Wiederhole dies 8 – 10 Mal bis du eine Erleichterung spürst. 

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