Die Geschichte der Heilung durch den Atem reicht bis in die Antike zurück. Im Lateinischen bedeutet das Wort „inspirare“ – „einat- men“ oder „einhauchen“. Du kannst es auch im übertragenen Sinn für das Eingeben von Ideen, Emotionen oder kreativen Impulsen verstehen. Und auch das lateinische Wort „anima“ hat eine Doppelbedeutung, nämlich „Atem“ und „Seele“. So beschäftigte sich beispielsweise schon der Philosoph Sokrates mit der Bedeutung der Atmung für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Sein Schüler Plato empfahl in seinem Werk Timaios Atemübungen als Mittel zur Heilung von Krankheiten. Er glaubte, dass eine gesunde Atmung dazu beitragen kann, Krankheiten zu verhindern und zu heilen. Atemtechniken wurden sogar als geheimes Wissen weitergegeben – vor allem unter Männern –, um sie so in ihrer Entwicklung und Gesundheit besonders zu fördern.
Hippokrates, der als Vater der Medizin gilt und einer der bedeutendsten Ärzte seiner Zeit war, hat in seinen Schriften die Bedeutung der Atmung für die Gesundheit und das Wohlbefinden betont. Er erkannte, dass die Atmung nicht nur ein physiologischer Prozess ist, sondern auch eine wichtige Rolle bei der Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten spielt. In einem seiner berühmtesten Werke, dem Corpus Hippocraticum, präsentiert er verschiedene Atemübungen zur Körperstärkung und Verbesserung des Immunsystems. So empfiehlt er, tief und langsam durch die Nase zu atmen und Atemübungen mit körperlicher Bewegung zu kombinieren. Nicht ohne Grund kann das griechische Wort „Psyche“ mit „Leben“ oder „Atmung“ übersetzt werden. Auch im alten Ägypten, möglicherweise inspiriert durch die Griechen, wurde Atmung im Rahmen der Tempelmedizin genutzt. Die Ägypter glaubten, dass der Atem die Seele beeinflusst und bestimmte Atemtechniken dazu beitragen können, das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist zu fördern. Es war für sie der Königsweg der Heilung.
Und auch in Indien wurde schon früh die Kraft der Atmung erkannt: In den vedischen Schriften, den ältesten Schriften des Hinduismus, wurden bereits vor etwa 3000 Jahren Atemübungen beschrieben, die als Pranayama bekannt sind. Pranayama bezeichnet die Kontrolle und Regulation der Atmung und setzt sich aus den Sanskrit-Wörtern „prana“ (Lebensenergie, Atem) und „yama“ (Kontrolle) zusammen. Wörtlich übersetzt also: „Kontrolle der Lebensenergie durch Atmung“. Bei meinen Reisen durch Indien und Nepal und meinen Aufenthalten in Ashrams und Yogazentren konnte ich diese alten Weisheiten live erleben – selten habe ich solch gesund und glücklich wirkende Menschen kennengelernt.
Aber auch in Deutschland befasste man sich mit Atmung. In einer Zeit, als Tuberkulose und Schwindsucht die Welt heimsuchten, setzte sich Daniel Gottlob Moritz Schreber, nach dem die Schrebergärten benannt sind, für die Bekämpfung dieser gefährlichen Krankheiten ein. Als Arzt und Direktor der orthopädischen und heilgymnastischen Anstalt zu Leipzig empfahl er 1844 gymnastische Übungen in Kombination mit Atmung. In seinem Werk Ärztliche Zimmergymnastik schrieb Schreber: „Von der Beschaffenheit des Atmens hängt der Blutumlauf in den Lungen ab, mithin für die Un- terhaltung des Lebens ununterbrochen notwendige Veredelung, die chemische Beseelung des Blutes. Mit der Stärke des Atems steht da- her die Energie des gesamten Lebens im geraden Verhältnis. Durch den Mangel der Bewegung überhaupt wird das Atmen schwächer und unvollkommener. Mit der Zeit entsteht daraus eine Disposition zu lebensgefährlichen Krankheiten der Lungen.“2
Ebenso ist die Arbeit von Konstantin Buteyko hervorzuheben. Der 1923 geborene ukrainische Arzt und Forscher, der sich intensiv mit der Bedeutung der Atmung für die Gesundheit befasste, entwickelte eine nach ihm benannte Methode, eine Atemtechnik zur Behandlung von Atemwegserkrankungen wie Asthma, Allergien und chronischer Hyperventilation. Die Buteyko-Methode basiert auf der Idee, dass viele Menschen zu viel und zu schnell atmen, was zu einem Ungleichgewicht im Kohlendioxidgehalt im Körper führt. Obwohl einige wissenschaftliche Studien existieren, die der Buteyko-Methode Wirksamkeit bei Asthma, Allergien und Angstzuständen bescheinigen, gibt es auch die Kritik, die Methode sei nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.
Die moderne Breathwork-Bewegung begann in den 1960er Jahren mit den Atemmethoden von Leonard Orr (Rebirthing) und Stanislav Grof (Holotropes Atmen) und verfolgte das Ziel, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und bewusstseinserweiternde Zustände durch eine Kombination aus Atemübungen, Musik und Trancetechniken zu erfahren.
In jüngerer Zeit gibt es vor allem eine Person, die insbesondere im Extremsport dafür gesorgt hat, Breathwork populär zu machen. Auch wurde er durch seine wissenschaftlichen Experimente, die er am eigenen Leibe durchführen ließ, bekannt. Die Rede ist vom niederländischen Extremsportler Wim Hof. Bekannt wurde er durch seine Fähigkeit, extreme Kälte zu ertragen, sodass er oft als Mann mit übernatürlichen Kräften bezeichnet wurde. Ich stieß auf ihn, nachdem ich von Singapur in die Niederlande gezogen war und nach Atemtechniken suchte, die Entzündungen im Körper reduzieren konnten. Letztendlich beruht seine Technik auf der Kombination von Atemtechniken mit Meditation und Kältetraining, mit der er zeigen möchte, dass eigentlich jeder diese außergewöhnlichen Fähigkeiten in sich trägt. In diversen Weltrekorden und mithilfe wissenschaftlicher Studien konnte er belegen, welche Kraft die Kombination von Atmung und Kälte auf die geistige und körperliche Gesundheit hat. Wim hat durch diverse bemerkenswerte Einträge ins Guinness-Buch der Rekorde Breathwork weltweit ins Bewusstsein von Millionen von Menschen gebracht. So lief er im Jahr 2007 einen Halbmarathon in der Arktis bei Temperaturen von -20 Grad Celsius nur in Shorts und Schuhen. Zwei Jahre später erregte er weltweites Aufsehen, weil er den Kilimandscharo in nur 28 Stunden bestieg – trotz Höhenkrankheit und ohne entsprechende Kleidung, allein in Shorts und einem T-Shirt.
Es zeigt sich: Die Atmung webt sich durch unsere Geschichte, und der Atem wird in vielen Bereichen mit unserer Lebensenergie gleichgesetzt.
Aber wie kann es sein, dass Breathwork über Jahrtausende praktiziert und weiterentwickelt wurde und dennoch erst in der heutigen Zeit als ein großer Wellness-Trend und das „neue Yoga“ gefeiert wird? Wie kommt es, dass die Arbeit mit dem Atem trotz vieler interessanter Ansätze so lange Zeit in Vergessenheit geraten konnte?
Nach all dem, was ich über die Geschichte von Breathwork gelernt habe, erscheint es mir so, dass es lediglich an einer guten Lobby fehlt. Schließlich kostet es nichts und kann von jedem angewendet werden.
Es gibt so viele verschiedene Ansätze, unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit zu steigern, doch die des Atems lohnt sich besonders. Wenn dir dieser Auszug aus meinem Buch “Breathwork- Die Magie deiner Atmung“” gefallen hat, kannst du im vollständigen Buch tiefer ins Thema einsteigen.
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